Ist Russland imperialistisch?

Ist Russland ein imperialistisches Land?

Versuch einer Klärung

Es ist heute auch in Kreisen, die sich als besonders links empfinden, sich gar kommunistisch nennen, nicht selten zu hören oder zu lesen, Russland sei eine imperialistische Macht. Die einen glauben, dafür gar keine Begründung liefern zu müssen, die anderen führen an, im Innern sei Russland klar kapitalistisch, die Oligarchen hätten die Macht, Putin sei sogar selber Oligarch, auch das gibt es. Alle diese Positionen machen sich nicht viel Arbeit mit Beweisen. Und alle diese Positionen beziehen die globalen Herrschaftsverhältnisse nicht mit ein. Russland wird ganz isoliert betrachtet.

Nun ist Südafrika auch ein kapitalistisches Land, und zu Zeiten der Apartheit konnte man es imperialistisch nennen. Aber heute? Wohl kaum. Indien und Pakistan streiten und bekriegen sich immer mal wieder. Sind sie imperialistisch? Wohl kaum. Für die europäischen Staaten trifft die Charakterisierung als imperialistisch zu. Sofern wir die westeuropäischen Staaten ansehen. Und die EU ist sicherlich ein imperialistisches Staatenbündnis. Aber sind die Rumänien, Bulgarien und Ungarn imperialistische Staaten oder nicht eher Staaten, die vom imperialistischen Bündnis EU abhängig sind? Teil der aufgeteilten Welt, aber nicht selber Aufteiler? Heute ist es notwendig, die Imperialismustheorie auf Heute anzuwenden. Und da finden wir die „Einzige Weltmacht“, mit dem Anspruch, keine weitere Macht neben sich hochkommen zu lassen, auch keine EU. Und wir haben die EU, die sich diesem Anspruch – weitgehend – unterordnet. Ebenso tun dies Kanada, Australien, Japan und einige kleinere Länder. Sie alle sind vom US-Imperialismus abhängig, für sie und ihre imperialistischen Interessen sind die USA die Sachwalter und Herren.

In der heutigen Welt kann Imperialismus nicht mehr isoliert für ein Land festgestellt und analysiert werden. Ich glaube, dass es heute keine unabhängigen imperialistischen Staaten gibt. Die „staatliche“ Interessenvertretung des Großkapitals, des spekulativen Kapitals, des Internetkapitals und der Kapitalverwaltungsgesellschaften wie Blackrock (die ja ungeheuer globalisiert sind und agieren) sind meines Erachtens heute die USA, die auch deswegeb global ausgerichtet sind, weil sie nicht nur das Interesse des US-Kapitals vertreten, sondern eben gerade das des globalen Kapitals aller Länder (sofern man dieses Kapital noch einzelnen Ländern zuordnen kann).

Ausdruck und Folge davon ist, dass die weiteren imperialistischen Länder den USA vollkommen und unterwürfig folgen. Es gibt nur noch einzelne und zeitweise Versuche, auf eigene imperialistische Interessen zurückzugreifen (zum Beispiel Deutschland) oder mit den USA um die Führung zu konkurrieren (zum Beispiel die EU, u.a. mit der Einführung des Euro). Die USA haben auf Letzteres reagiert und – Mittels ihrer Dienste und Stiftungen – die gesamte Politelite Europas ausgetauscht. Es gibt nur noch US-hörige Eliten, in den einzelnen Ländern der EU und auf EU-Ebene. Eine interessante Form des Putsches oder auch der Farbenrevolution im Übrigen. Das ist möglicherweise auch der Hintergrund für die Gründung und den Wandel der AfD, die sich um nun die liegengelassenen nationalen Interessen kümmert.

Auch das russische Großkapital sieht m.E. in den USA und seiner Gefolgschaft seine Interessenvertretung. Näher zu untersuchen wäre mal (wobei ich nicht weiß, wie man das anstellen sollte), wie der Austausch der Oligarchen durch Putin funktionierte, was der Hintergrund war über die verbreitete Erzählung hinaus. Aber das nur nebenbei. Wenn man das eben gesagte voraussetzt, dann ist Russland ein Land, das sich der Vorherrschaft der USA widersetzt, aber unter die Vorherrschaft der USA gebracht werden soll und nicht nur das Land, auf das wegen der Rohstoffe geschielt wird.

Nun könnte es sein, dass Russland sich nur deshalb widersetzt, weil es eigene imperiale Interessen hat und umsetzen will. Die müsste man dann benennen. Beliebt auch unter Linken ist es, den Russen Chauvinismus zu unterstellen. Das wäre die ideologische Ebene. Und wo ist die materielle? Wo sind die Großkonzerne, die Kapitalgesellschaften, die am Run auf die Welt mitmachen? Die Kritiker des russischen Imperialismus sind an dieser Stelle sehr wortkarg.

Russland ist gegenüber dem Welthegemon unbotmäßig. Losurde spricht davon, dass Russland mit Putin die neoliberale Kontrolle, die Jelzin akzeptiert hatte, abgeschüttelt hat. Warum unterwirft es sich aber nicht, wie Europa zum Beispiel? Es könnte doch auch kalkulieren, dass sich mit den USA die imperialistischen Interessen besser umsetzen lassen, als gegen sie! Warum macht es eine eigenständige Politik? Ich denke, die Lösung könnte darin liegen, dass Russland noch immer ein Land im Übergang ist. Es könnte sein, dass der Kapitalismus in Russland doch noch nicht endgültig und vollständig gesiegt hat. So gibt es den von Putin wiederhergestellten großen staatlichen Sektor, incl. der Rüstungsindustrie, die ja immer die aggressivste Rolle spielt. Es gibt noch etliche Gesetze aus der UdSSR, die weiter gelten, zum Beispiel im Arbeitsrecht, im Eigentumsrecht. Wenn ich mich richtig erinnere, ist Grund und Boden – im Gegensatz zur Ukraine – immer noch nicht in Privatbesitz. Es gibt eine starke KP, mit großem Einfluss.

Wenn es stimmt, dass Russland eine Gesellschaft im Übergang ist und noch keine gefestigte kapitalistische Gesellschaft, dann ist auch noch nicht ausgemacht, wo der Übergang letztlich hingeht. und wenn das so ist, muss man das Bündnis mit China in einem ganz neuen Lichte sehen. Auch China ist ein Land im Übergang unter der festen Herrschaft der KP, die den Prozess leitet und plant.

Und gerade die letzten Monate zeigten, dass Russland sich dem Welthegemon nicht, weil es sich seinem eigenen Kapital nicht unterwirft, nicht vollständig jedenfalls. Dazu sollte man die Texte der russischen kommunistischen Partei lesen. Und es verbündet sich mit China, belebt seine Beziehungen zu Kuba wieder und hilft ihm, hilft Venezuela, hilft Nicaragua… wendet sich also dem antiimperialistischen Lager zu. Mehr und mehr und Schritt um Schritt.

Sicher steckt in den Ausführungen viel Spekulation. Aber geerdete Spekulation kann schon viel helfen. Und die USA macht diese Entwicklung schier verrückt. Auch deshalb, weil der Einfluss Chinas und Russlands auf die Dritte Welt wächst. Nur die Arbeiterklasse der ersten Welt haben sie – noch – völlig im Griff.